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Weg aus dem Chaos

von Heinz-Peter Röhr

Entscheidender als Erfolg ist das Gelingen wichtiger menschlicher Beziehungen. Da hat jeder Mensch seine Chancen.

Die Borderline-Störung verstehen

Der psychoanalytischen Forschung verschiedener Richtungen ist es zu verdanken, dass die globale Bedeutung der ersten Lebensmonate und –jahre für die Entwicklung der Persönlichkeit allgemein anerkannt ist. Störungen und gravierende Mangelerlebnisse, die in diesen sensiblen ersten Lebensphasen erfahren werden, haben Auswirkungen auf die seelische Gesundheit – nicht nur in der Kindheit, sondern sie verursachen bleibende Schäden.

Das Drama

Das Drama eines Menschen beginnt mit dem Drama seiner Eltern. Eltern sind Übermittler des Erbgutes und üben - mit all ihrer positiven und negativen Eigenschaften - starken Einfluss aus, besonders in den ersten Lebensjahren.

Kinder wollen geliebt werden, einfach so, wie sie sind, und nicht um elterliche Minderwertigkeitsgefühle zu beheben. Kinder sind auch nicht da um Probleme der Eltern zu lösen.

Die Spaltung

Bei Menschen mit dem Borderline Syndrom wird in der Polarität oft zuerst die abwehrende, aggressive Seite wahrgenommen, während die zarte verletzliche Seite versteckt ist.

Es gibt viele wissenschaftlich gut fundierte Beweise dafür, dass bereits im Mutterleib Einfluss auf das werdende Leben genommen wird. Nicht nur über die Nabelschnur hat der Embryo Anteil an den Gefühlen der Mutter. So ist es nicht unwichtig, wie die Mutter zu ihrer Schwangerschaft steht. Lehnt sie das werdende Kind ab, oder ist sie in freudiger Erwartung? Wie steht sie zum Vater des Kindes? Wie ist die Beziehung zu ihm? Wie steht des Vater zu dem Kind? Unabweisbar würde eine Ablehnung, die die Mutter dem Vater, dem Zeuger ihres Kindes, entgegenbringt, auch die Ablehnung des werdenden Kindes bewirken. Erwiesenermassen treten bei unerwünschten Schwangerschaften viel häufiger Komplikationen auf als bei solchen die erwünscht sind, beziehungsweise wenn die werdende Mutter sich in ihrer Rolle wohl fühlt, zufrieden und ausgeglichen ist.

Im Leben von Menschen mit einer Borderline Störung finden wir eine ausgeprägte Spaltung. Alles ist extrem: entweder ist etwas schwarz oder weiss. Ein Mensch ist gut oder er ist böse, er wird idealisiert oder gnadenlos abgewertet. Zwischen den beiden Polen ist kaum etwas vorhanden, denn die Zwischentöne, die Farben fehlen. Wie ein roter Faden zieht sich dieses Problem durch das Leben der Betroffenen. Es wirkt sich vor allem in Beziehung verheerend aus und gestaltet das Leben zu einem Chaos.

Von Menschen, die eine solche frühe Ablehnung erleben mussten, geht auch im Verhalten eine merkwürdige Zwiespältigkeit aus. Sie sind bald hart, radikal und grenzenlos in ihrer Forderungen, dann wieder weich, liebevoll und anrührend in ihrer Hilflosigkeit.

Der Mangel

Grundbedürfnisse wie Körperkontakt, liebevolle Zuwendung, das Gefühl, willkommen und geborgen zu sein wurden nicht befriedigt. Die Bedeutung die eine solche frühe Ablehnung für die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen hat, kann kaum überschätzt werden. Es ist demnach von immenser Bedeutung, dass Mutter und Kind gleich nach der Geburt eine möglichst enge Verbindung behalten. Sie müssen quasi eine Einheit bilden, so dass sich das Kind mit der Mutter wie eine Person erlebt.

Der Glanz in den Augen der Mutter zeigt dem Kind die Lebensberechtigung.

Nach Meinung vieler Fachleute entsteht die Borderline Störung, in der Lebensphase, in der die Mutter mit dem Kind diese notwendige Symbiose eingehen sollte.

Neben der Tatsache, dass ihm – durch die mangelhafte Versorgung mit Zuneigung, Streicheln und liebvoller Aufmerksamkeit - das Gefühl, willkommen zu sein, fehlt, wird vor allem Angst das Grundgefühl sein. Das kleine Kind, welches dieser Situation völlig ausgeliefert ist, hat nur eine Möglichkeit, diese Bedrohung zu bewältigen. Es kann die Angst zumindest zeitweise abspalten, sodass sie nicht mehr spürbar ist. Die Angst ist zwar nicht wirklich verarbeitet, da die Bedrohung weiter andauert, doch die Erleichterung dass die Angst verschwunden ist, hat sich zunächst eingestellt. Im Unbewussten aber wirkt die Angst weiter und drängt mit Gewalt an die Oberfläche. Sie gewinnt eine explosive Sprengkraft, die sich immer wieder in zerstörerische Energie umwandelt, die der Betroffene gegen sich oder gegen andere richtet. Er findet kein Gleichgewicht und bleibt innerlich instabil.

Kinder die abgelehnt werden, sind häufig auf eigentümliche Weise aggressiv oder depressiv. Es kann sein, dass diese Kinde die Aggression gegen sich selbst richten, oder aber sie richten sie gegen andere. Dieses dauernde In-Aktion-Sein kann auch in der weise verstanden werden, dass solche Kinder und spätere Erwachsene das ständige Provozieren, Agieren und Unruheerzeugen benutzen, um das innere Chaos und die Angst vor Vernichtung nicht zu spüren. Sie können sich so nicht zu unabhängigen, freien und in sich selbst ruhenden, stabilen Persönlichkeiten entwickeln.

Die Kreativität

Menschen mit Borderline Störungen haben oft guten Kontakt zu ihrem Unbewussten und damit Zugang zu den dort vorhandenen kreativen Energien. Man erkennt einen Hang zu Extremen und Besessenheit in der Verfolgung von Ideen und Vorstellungen. Genie und Wahnsinn liegen nicht selten eng beieinander. Die dramatischen Lebensläufe vieler Künstler lassen sich tatsächlich besser verstehen, wenn zu erkennen ist, dass sie an einem Borderline Syndrom litten.

Die Flucht

„Niemand versteht mich“ ist eine häufige trotzige Aussage von Menschen mit einem Borderline Syndrom. Das schmerzhafte Gefühl des Ausgestossenseins, des Nichtverstandenwerdens führt zur Selbstablehnung, tiefem Misstrauen und zur Ablehnung anderer Menschen. Nicht selten suchen diese Menschen intensiven Kontakt zu Tieren. Diese haben für sie einen weit höheren Stellenwert als Menschen, meist auch einen höheren als sie selbst. Zu sehr von Menschen und sich selbst enttäuscht, scheinen Tiere das einzige verlässliche Gegenüber zu sein.

Die Leistung

In der Leistungsgesellschaft wird die Lebensberechtigung praktisch nur von der Leistung abgeleitet. Bei einem Menschen der unter einer extremen Selbstwertproblematik leidet, ist es verführerisch, das was in seinem Innern so sehr nach Befreiung schreit, durch eigene Leistung, durch Arbeit und Anstrengung zu erreichen.

Das Geliebtwerdenwollen von den Eltern ist ein Grundbedürfnis jedes Kindes. Das Gefühl, von den Eltern nicht geliebt zu werden oder geworden zu sein, begleitet und quält viel Erwachsene bis an ihr Lebensende.

Liebe zu suchen, da, wo sie nicht zu bekommen ist, verursacht immer starke Wutgefühle, die der Betroffene letztlich gegen sich selbst richtet. Es bilden sich regelrechte Teufelskreise: Jemand gibt, investiert, opfert sich, macht sich klein,, passt sich an, ordnet sich unter, und versucht, es dem Gegenüber recht zu machen. Doch immer wieder muss er erleben, dass seine ganze Mühe umsonst war. Wird seine Anstrengung nicht mit Wertschätzung und Zuneigung belohnt, fühlt er sich elendig und leer. Die Folge werden Wut-, Ärger- und Hassgefühle sein. Nicht selten werden dann Alkohol, Medikamente und Drogen eingesetzt um Wut zu betäuben, oft entsteht daraus eine Sucht.

Das alles „Herschenkenwollen“ ist im Grunde ein Akt der Liebe. Wir müssen davon ausgehen, dass es ein berechtigtes kindliches Bedürfnis ist, Liebe nicht nur von den Eltern zu empfangen, sondern den Eltern auch Liebe zu schenken.

In der Psychotherapie hat sich der Begriff „Projektion“ für ein Phänomen etabliert, das hier eintreten wird. Projektion meint, dass jemand sein inneres Problem nach aussen projiziert, wie auf eine Leinwand. Er inszeniert es immer wieder mit wechselnden Schauspielern. Wenn die Anerkennung vom Vater nicht erlangt wurde, so wird zum Beispiel der Vorgesetzte, oder der Partner derjenige sein, von dem Anerkennung erdient, erkauft, erzwungen werden soll. Die gebundene gewaltige Energie sucht Erleichterung, sucht Ventile! Menschen mit einem Borderline Syndrom sind oft auf sehr extreme Weise aggressiv.

Die Wut

Aggressionen haben bei vielen Menschen, die an einem Borderline Syndrom leiden, eine wichtige Funktion. Sie dienen allerdings häufig nicht der angemessenen Verteidigung im Falle eines Angriffes, sondern werden zur Erleichterung eingesetzt, zum Abbau von Spannungen. Sie werden gegen Unzufriedenheit, Angst, Wertlosigkeits- und Minderwertigkeits-Gefühle eingesetzt. Sie werden wie Suchtmittel verwendet, nämlich um unliebsame Gefühle nicht mehr ertragen zu müssen. Innere Unruhe treibt, ähnlich wie Entzugserscheinungen bei Suchtmittelabhängigen, zu aggressivem Verhalten. Aggressionsgestörte verlieren immer häufiger die Kontrolle über ihre Aggressionen, sie sind zu scheinbar unverzichtbaren Lebensbewältigungsstrategien geworden und gelten als legitimes Mittel um Bedürfnisse zu befriedigen. Das aggressive Verhalten wird verstärkt, da es unmittelbar zum Erfolg führen scheint.

Nicht selten haben Menschen mit einem Borderline Syndrom keinen Zugang zu ihren Gefühlen, sie werden abgespalten, das heisst: nicht wahrgenommen. Menschen die eng mit ihnen zusammenleben, sind Wechselbädern ausgesetzt. Extrem hart und extrem weich sind ihre Verhaltensweisen. Etwas dazwischen ist selten möglich.

Im Zusammenhang mit süchtigem Aggressionsverhalten werden auch Suchtmittel, insbesondere Alkohol und Drogen missbraucht.

Die Beziehung

Einen Liebesbeziehung wäre doch wohl das, was all die Entbehrungen und Verletzungen vergessen machen könnte. So oder so ähnlich denken viele und man sollte meinen, sie haben recht. Offensichtlich ist ist es aber nicht so leicht, wie es auf den ersten Blick scheint. Zu Menschen mit einem Borderline Syndrom fühlt man sich eigenartig wie magisch hingezogen. Man kann sich ihnen kaum entziehen. Sie zwingen ihr gegenüber förmlich in die Beziehung und meist auch dazu Augenkontakt zu haben. Im ersten Kontakt kommt man meist mit der weichen Hälfte, der verletzlichen, menschlichen Seite in Berührung. Man möchte sich am liebsten um ihre tiefe Not kümmern, sie vor weiterem Unheil schützen. Das wirkt besonders auf Menschen mit dem sogenannten Helfersyndrom.

Gegensätze ziehen sich an und die Frage was Menschen für einander anziehend macht, ist nicht unwesentlich damit beantwortet, dass sie neben sexuellen und erotischen Bedürfnissen meistens geheime andere, aus der Kindheit mitgetragene Sehnsüchte haben, die der Partner befriedigen soll. Beide Partner befinden sich in einer Symbiose, insofern sie wichtige Probleme, die sie mit Hilfe der Partnerschaft lösen wollen, tatsächlich zu lösen scheinen. In vielen derartigen Beziehungen gibt es bei einem oder sogar bei beiden Partnern gleich zu beginn das mehr oder weniger deutliche Gefühl, dass eine engere Bindung in Wahrheit ein Fehler ist.

Wie sich zeigen wird, haben Menschen mit einem Borderline Syndrom überhaupt keine andere Wahl, als diesen soeben beschriebenen Irrtum zu verfallen. So ist es für sie unvorstellbar, dass sie ohne Vorleistung Zuneigung empfangen, doch diese Vorleistung erbringen sie um einer Belohnung willen: um Zuneigung und Liebe zu gewinnen. Zu sehr ist dieses Muster seit früher Kindheit in ihrer Persönlichkeit wie eingebrannt.

Meist wird derjenige, der versucht, mit einem Menschen mit Borderline Syndrom zusammen zu leben, sich alle Mühe geben, sich der Situation anpassen. Doch, es darf nicht vergessen werden, dass beide Partner füreinander Problemlöser geworden sind. In der Tat sind Beziehungen, die Menschen mit einem Borderline Syndrom eingehen, mörderisch, nicht selten tödlich. Es wurde schon betont, dass die extreme Gegensätzlichkeit der zwei Hälften von grosser Bedeutung ist und das Motto dieser Menschen lautet: alles oder nichts, Hell oder Dunkel, ganz oder gar nicht. Beziehungen die sie eingehen haben ebenso radikalen Charakter. Wahnhafte Eifersucht ist ein Phänomen, das in abhängigen Beziehungen immer in mehr oder weniger starker Form erlebt wird.

Menschen die in ihrer frühen Kindheit keine oder nur in unzureichender Weise Liebe erfahren durften, sind in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gestört, sie hungern in extremer weise nach Liebe.

Andere Menschen wollen sie entweder beherrschen oder sie unterwerfen sich ihnen. Wieder spalten sie die Welt in schwarz und weiss. Menschen mit einem Borderline Syndrom weigern sich autonom, erwachsen und selbständig zu werden. Die Verweigerung geschieht aus Wut, die ursprünglich den Eltern galt, welche die Symbiose nicht befriedigend gestalten konnten und/oder die Selbständigkeit verweigern mussten. Diese Weigerung Selbständig zu werden, ist Rache! Sie wollen jetzt andere Menschen zwingen, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Die Erzeugung von Schuldgefühlen ist das stärkste Mittel, um die abhängige Beziehung aufrecht zu erhalten.

Das Drama, welches sich in Beziehungen ereignet, die ein Borderline Syndrom-Mensch erleben muss, besteht darin, dass er eine tiefe Sehnsucht nach Verschmelzung hat und in enger werdender Beziehungen diese Verschmelzung mit dem Partner rasch stattfindet. Sie ist so tief und stark, dass sie zugleich auch wieder bedrohlich wird. Es tritt eine tiefe Angst auf, sich selbst zu verlieren oder vernichtet zu werden. Jetzt wird es Zeit wieder Distanz zu schaffen. Aus der gerade noch idealisierten Person wird eine abzulehnende. Der Blick richtet sich nun mit unerbittlicher Schärfe auf das Negative und die Kritik ist vernichtend. Menschen mit einem Borderline Syndrom sind in dem Dilemma, nicht mit, aber auch nicht ohne den Partner leben zu können. Die Beziehungen sind nur in der Weise stabil, dass sie chaotisch instabil sind. Man nennt diese Form der Beziehung stabil-instabil.

Negative Zuwendung scheint auf eigentümliche Weise sicherer als positive. Sie ist aus der Kindheit bekannt und vertraut; es gab nichts anderes. Sie haben nicht gelernt, mit gefühlsmässiger Wärme umzugehen. Wird die Temperatur zu hoch, zum Beispiel durch liebevolle Zuwendung, Lob, respektvolle Beachtung, Körperkontakt und so weiter, wird wie über einen Thermostaten ein Kälteaggregat zugeschaltet, welches dafür sorgt dass die Lebenstemperatur wieder niedrig wird. Das Leben spielt sich wie auf eine Bühne ab, das was innerlich quält und drückt will erlöst werden und mit immer neuen Schauspielern auf immer neuen Bühnen werden die alten, nicht verarbeiteten Konflikte in Szene gesetzt.

Hinter allen Schwierigkeiten, Problemen und Symptomen stecken „Lernaufgaben“. Jeder Mensch bekommt seine ihm gemässen Lernaufgaben vom Schicksal vorgelegt. Er hat die Freiheit, sich zu verweigern oder die Lernaufgaben anzunehmen und sich um eine Lösung zu bemühen. Weigert er sich, sein Schicksal anzunehmen und sich um echte Problemlösungen zu bemühen, wird in aller Regel sein Leiden früher oder später noch stärker. Nimmt er die Botschaft auf, erweist er sich an persönlicher Reifung, an Wachstum und Weiterentwicklung interessiert. Der Versuch der Menschen mit einem Borderline Syndrom, die vermisste Liebe in der Partnerschaft zu finden, ist ein Irrweg, der aber in aller Regel dazugehört.

Der Hang zu Extremen wohnt, wie bereits erwähnt, in der Persönlichkeit der Borderline Syndrom Patienten. Das Alles oder Nichts ist ein Hauptmerkmal der Borderline Störung. Der Hintergrund für die Sucht nach Extremen und Gefahr ist wohl in erster Linie das Bestreben, eine innere Leere zu bewältigen. Der inner Kampf mit dem Gefühl, unerwünscht zu sein, wird in einen äusseren Kampf verlagert. Immer wieder stellt sich die Frage „wie weit kann ich gehen““, „was kann ich noch alles riskieren“?, „wo ist die Grenze“?, „wie weit werde ich akzeptiert“? Solche Menschen fühlen sich merkwürdigerweise dann am sichersten, wenn sie am Rande ihrer Existenz stehen. In Situationen in denen sich tatsächlich sicher fühlen könnten, treten Ängste auf, die ihnen nein Gefühl der Unsicherheit geben.

Die Verletzung

Liebe ist ein Kind der Freiheit und setzt voraus, dass beide Partner beziehungsfähig sind. Menschen mit einer Borderline Störung sind zunächst nicht beziehungsfähig und werden dies häufig auch nicht. Sie sind nicht in der Lage, sich selbst zu lieben, denn die frühe Prägung und Störung verursachen dieses tiefe Misstrauen sich selbst und anderen gegenüber. Sie saugen den Partner förmlich aus und sind unersättlich nach Beweisen dafür, existenzberechtigt zu sein. Auch wenn sie diese erhalten, können sie nicht daran glauben, dass sie selbst gemeint sind. So ist es zu verstehen, dass sie dazu übergehen, den Partner zu kränken und zu verletzen nach dem Motto: Ich werde dir schon zeigen, dass du mich nicht wirklich liebst!

Partnerbeziehungen entstehen nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Unbewusst sucht ein Mensch immer den Partner für sich aus, der zu seinen eigenen Problemen passt. Meist beherrscht er all die Dinge, die man selbst nicht kann oder sich nicht zu leben traut. Mitunter ist es auch eine tiefe Sehnsucht nach etwas, was in der frühen Kindheit unbefriedigt blieb. Menschen mit einem Borderline Syndrom, die einen grossen Hunger nach Verschmelzung und Liebe haben, verfügen nicht selten über eine geradezu übersinnliche Fähigkeit, genau die Sehnsüchte und verborgenen Wünsche zu erspüren, die in einem anderen Menschen unerfüllt geblieben sind. Ausgerüstet mit diesem Talent gelingt es ihnen, andere Menschen von sich abhängig zu machen, indem sie das Gefühl vermitteln, die geheimen Sehnsüchte erfüllen zu können.

Die Gemeinschaft

Menschen mit einem Borderline Syndrom leiden unter vielen Ängsten, da ihr Leben unsicher und ohne inneren Halt ist. Das inner Chaos ist auch am Verhalten in der Gemeinschaft zu erkennen. Sich an Regeln zu halten, Rücksicht auf andere zu nehmen und zuzulassen dass andere ihnen näher kommen, fällt ihnen schwer. Etwas Selbstzerstörerisches lebt in ihnen. Mitunter sind sie lebende Pulverfässer, die bei nichtigen Anlässen zur Explosion neigen, oder aber die Energie wirkt zerstörerisch gegen die eigene Person in Form von selbstschädigenden Verhaltensweisen, wie beim Aufritzen der Haut mit Glasscherben, Rasierklingen und ähnlichem. Die Neigung zu Extremen wird auch darin sichtbar, dass Gruppenmitglieder in zwei Lager eingeteilt werden: Entweder sie sind gut oder böse. Solange Borderline Patienten in einem der beiden Extremen lebt, fühlt er sich sicher in seiner Welt. Unsicher wird alles wenn andere Farbtöne zwischen den Extremen zugelassen werden. Das Ziel ist zu lernen, seinem Leben Struktur und Ordnung zu geben, sonst wird er weiter in Unsicherheit und Angst, verursacht durch Chaos, leben.

Die Wandlung

Bis ein vollkommener Verzicht auf Aggression möglich wird, ist in der Realität immer ein weiter Weg zurückzulegen. Das Negative, also alles was zerstörerisch, selbstzerstörerisch ist, unangemessen, wild, anarchistisch und bösartig, hat für manche Borderline Patienten eine magische Anziehungskraft. Bei einigen kann man sagen sie sind süchtig nach Destruktivem, in der Nähe des Abgrundes fühlen sie sich wohler und nur in scheinbar absurder Weise sicherer als in stabilen Verhältnissen. Immer geht es bei den chaotischen Zuständen um den Schutz davor, selbständig und autonom zu werden.

Das Wagnis, die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, ist für den Borderline Patienten nur möglich, wenn er bereit ist, sich der Realität zu stellen, sich mit ihr konfrontieren zu lassen, was aber mit grossen Ängsten verbunden ist welche damit verbunden sind. Nur so kann er lernen, dass die innere destruktive Fantasie nicht mit der äusseren Realität übereinstimmt. Es ist einfacher sich in die bekannten destruktiven Fantasien zurückzuziehen, denn sie bieten vertraute Scheinsicherheit. Der Patient muss sich entscheiden nicht mehr länger das Drama zu leben, sondern sich auf den Weg zu zu sich selbst, zur Individuation zu machen.

Die Heilung

Hatte ein Mensch mit Borderline Syndrom je eine Chance? Beim Betrachten seines Werdegangs muss man sagen: „ Nein“ – „Niemals“! Er musste so werden wie er geworden ist. Jeder Mensch musste so werden wie er geworden ist, auch das ist eine Erkenntnis. Die Voraussetzungen die ein Mensch mit auf die Welt bringt und auch die frühkindliche Umgebung sind bekanntlich sehr unterschiedlich.

Zum Genesungsprozess gehört, dass der Patient versteht, dass er bisher keine Chance hatte, dass alle seine Versuche, sich selbst zu helfen, zum Scheitern verurteilt waren. Immer wieder hatte er sich eingebildet, dass bei der nächsten Beziehung, bei der nächsten Anstrengung seine Lage entscheidend besser würde. Alles umsonst! Nichts hat wirklich helfen können, ausser dass eine oberflächliche Betäubung das Elend in den Hintergrund drängte, das dann mit verstärkter Energie wieder ausbrechen musste.

Es ist wichtig, sich an dieser Stelle Zeit zu nehmen, um die Zumutung nachzuvollziehen, die darin besteht zu akzeptieren, dass wirklich alle Anstrengung umsonst war und trotzdem alle Fehler gemacht werden mussten. Wenn der Kopf diese Einsicht erarbeiten konnte, ist noch lange nicht gesagt, dass der Bauch, also das Gefühl, dies akzeptieren kann.

Die Kapitulation

Borderline Patienten, wie auch Suchtkranke, suchen die Verantwortung für ihre Schwierigkeiten immer bei den andern. Schuldzuweisungen sind üblich und auch das Weltbild ist verzerrt und bedarf einer Korrektur, die sich in der Realität nur langsam vollzieht. Nur sehr langsam findet der Lernprozess statt, dass Menschen nicht nur in Schwarz und Weiss einzuteilen sind.

Letztlich geht es auch bei Borderline Patienten um Kapitulation. Kapitulation vor sich selbst, davor, dass die Dinge so sind, wie sie sind, dass seine Eltern ihn nicht lieben und annehmen konnten, dass er diesen, seinen eigenen Weg mit all dem ihm zugefügten Leid gehen, dass er viele Menschen verletzen musste – um nur die wesentlichen Bereiche zu erwähnen. Bisher hat er zu sich selbst, zu anderen radikal nein gesagt. Er konnte nicht anders als das übernehmen was seine Eltern ihm mit auf den Weg gegeben hatten. Jetzt geht es darum ja zu sagen! Das folgende Gebet von Chr. Friedrich Öttinger kann zu einer Lebenshilfe werden:

Gott gebe mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Menschen mit einem Borderline-Syndrom werden sich an diesem Gebet orientieren können, da es bei ihnen ganz besonders darum geht, dass sie ihrem Leben Struktur und Ordnung geben.

Was stattfinden muss, ist heilsame Trauerarbeit. Der Patient muss aktiv werden bei seiner Entscheidung, sich zu verändern. Alles andere ist mehr ein Zulassen, ein Wirkenlassen der heilenden Salben.

Zulassen:

  • dass die Gemeinschaft trägt, ohne Vor- oder Gegenleistung (Bedingungslos)
  • dass das Schicksal ihm diese, seine Realität zumutet
  • dass Trauerarbeit stattfindet
  • dass er sich unschuldig fühlen darf

Die Trauerarbeit ist von immenser, von ausschlaggebender Bedeutung für die Genesung.

Zu lernen, mit seinen Beeinträchtigungen zu leben, nicht mehr gegen sie, ist in der Realität eine schwierige Aufgabe und ständige Herausforderung.

Ohne Trauerarbeit ist Genesung nicht zu erreichen. Rückfälligkeit ist aus dieser Sicht in erster Linie als Hinweis zu verstehen, dass nur in unzureichender Weise Trauerarbeit stattgefunden hat.

Darin, dass er sich wirklich unschuldig fühlt, liegt das Geheimnis der Heilung. Nur ein Mensch, der gut von sich selbst denken kann, besitzt überhaupt die Fähigkeit, gut zu sein. Um seine Unschuld zurückzugewinnen, ist es erforderlich, dass er mit allen Menschen, die er verletzt hat, die Dinge klärt und wieder in Ordnung bringt.

Das Skript

Das, was Menschen mit einem Borderline-Syndrom benötigen, kann am besten als ein Nachreifungsprozess beschrieben werden, in dem es darum geht, Struktur für die eigene Lebensführung zu gewinnen.

In der Therapie hat sich die sogenannte Skriptarbeit bewährt. Diese Methode stammt aus der Transaktionsanalyse von Eric Berne.

Obwohl sich bei der Geburt eines Kindes niemand hinsetzt und für das Neugeborene ein Skript schreibt, ist immer ein Skript da, welches in der Regel unbewusst ist, das heisst geheim bleibt. Nach diesem Skript gestaltet der Träger sein Leben, es ist dein Lebensskript. Ohne dass Eltern es merken formulieren sie das Skript ihres Kindes, in den Einstellungen, Haltungen und Verhaltensweisen, die sie dem Kind gegenüber einnehmen. In einem ablehnenden Skript kann zum Beispiel folgendes zu finden sein: „ ich will dich nicht, du bist so wie du bist nicht erwünscht, ich empfinde dich als eine Last, ich benutze dich, ich schäme mich dass du mein Kind bist…“

Ausgerüstet mit einem so negativen Skript ist das Scheitern vorprogrammiert.

Ein neues Skript zu erlernen ist ein mühevoller Weg. Positiver Inhalt eines Skriptes wäre zum Beispiel „ich bin willkommen!“. In der Therapie geht es darum, diesen positiven Satz immer wieder zu sagen bis er in Fleisch und Blut übergeht. Auch wenn das Gefühl den Patienten immer wieder daran hindern will diesen Satz auszusprechen, ist es wichtig und not-wendig, im wahrsten Sinne des Wortes, um die Not zu wenden.

„Schau dich an, und sage Dir, dass Du willkommen bist auf dieser Welt und dass Du Dich magst“! Bei Menschen mit einem extrem negativen Skript, werden massive Widerstände auftreten diese Übung zu machen und diese Worte auszusprechen.

Der Wesenskern

Das innere Kind ist ein Bild für den Wesenskern des Menschen, dafür, wie er eigentlich gemeint ist. Das innere Kind ist voller Lebensfreude, Kreativität, Energie, Weisheit und Liebe. Alle Menschen sind mehr oder weniger verletzte Kinder. In der Erziehung wurde durch Ignoranz, Vernachlässigung, Ablehnung, Abwertung, Demütigung, sexuellen Missbrauch, Misshandlung und andere Verletzungen das innere Kind an der Entwicklung gehindert. Kinder sind von ihren eingeschränkten Möglichkeiten her, häufig nicht in der Lage, richtig mit Schmerz umzugehen. Sie bleiben allein damit, und suchen verzweifelt nach einem Ausweg der sehr oft darin besteht einfach den Schmerz zu vergessen. In der Fachsprache bekannt unter „Verdrängen“. Der Vorgang des Verdrängens ermöglicht aber auch eine Anpassung an seine Umwelt, was ihm das Leben auch erleichtert. Geschieht dies aber zu stark, überwiegen die Nachteile: Das Kind - und damit der spätere Erwachsene – wird zwanghaft, ängstlich und unfrei. Das Kind kann sich nicht erlauben seine Wut offen zu zeigen, da es damit seine Beziehung zur Mutter gefährden würde, es muss also die Wut auf die Mutter leugnen, verdrängen.

Menschen mit einem Borderline Syndrom können nichts vergessen, sie können Verletzungen nicht verdrängen - das ist ein Teil ihres Dramas. Sie können nicht vergessen was ihnen angetan wurde, das heisst dass diese Wunden für sie immer spürbar bleiben. Da solche Menschen nicht verdrängen, nichts vergessen können, bleiben sie in Kontakt mit riesigen Energien im Unbewussten, die durch Verdrängungsarbeit bei anderen Menschen eingedämmt werden. Menschen mit einem Borderline Syndrom sind von ihrer Entwicklung her auf eine kindliche Stufe fixiert, Beziehungen haben diesen engen symbiotischen Charakter, der in der frühen Phase zwischen Mutter und Kind erforderlich war.

Diese Menschen benutzen einen anderen Abwehrmechanismus, den der Spaltung. Die Welt wird in zwei Lager gespalten, in schwarz und weiss, Gut und Böse. Es wird im Prinzip die Beziehung wieder hergestellt, die er vor langer Zeit nur in unzureichender Weise erleben durfte - die Symbiose. Während dieser frühen Entwicklungsphase konnte die Mutter und / oder der Vater ihm kein ausreichend stabiler Halt sein. So konnte er auch nicht wirklich unabhängig werden und ist gezwungen, das, was er früher vermisste, heute noch anderswo zu suchen: in immer neuen Abhängigkeiten.

Das Erbe

Menschen mit Borderline Syndrom haben grosse Schwierigkeiten mit sich und anderen Menschen. In der Realität scheint ein Happyend eher fraglich. Ziel einer Therapie ist aber, dem Patienten zu verstehen geben, dass er so wie er ist, mit all seinen Schwächen und Stärken, willkommen ist. Dass er sich wertvoll fühlt und weiss, dass er selber für sein Leben verantwortlich ist. Die schatten der Vergangenheit sind abgestreift, das heisst er macht seine Vergangenheit, seine Erziehung, seine Eltern oder sonst etwas ausserhalb seiner selbst nicht mehr für seine Schwierigkeiten verantwortlich. Der Mensch benötigt für seine seelische und körperliche Gesundheit eine positive Beziehung zu sich selbst, eine grundsätzlich positive Beziehung zu seinen Mitmenschen und eine grundsätzlich positive Beziehung zu etwas Höherem. In der Beziehung, die ein Mensch zu sich selbst hat, spiegeln sich die beiden anderen Dimensionen. Wenn sich Menschen der Realität in der Weise bewusst werden, dass sie sich der Tatsache der eigenen Vergänglichkeit stellen und ihr Leben auf diesem Hintergrund zu ordnen versuchen, ist schon viel gewonnen. Dies bedeutet, sich der wichtigsten Frage überhaupt zu stellen, nämlich der nach dem eigen Lebenssinn.

Es sind insbesondere Lebenskrisen, die die Chance bieten, das Gefühl für die Realität zu erweitern und universellere Quellen anzuzapfen. Die Hinwendung zu Formen der Meditation, oder die Ausrichtung nach spirituellen Gesichtspunkten, führt zur Erweiterung des Bewusstseins. Die Krise hat dann ein befriedigende Antwort gefunden, wenn es gelungen ist, dem Leben auf eine umfassendere Weise neuen Sinn zu geben.

„Das Reich erben“ bedeutet Bewusstheit herzustellen und Verantwortung zu übernehmen für das eigene Königtum (für sich selbst), für seinen Wert, mit allen Stärken und Schwächen, für seine Stellung im Kosmos. à Mut, Teil zu sein. Gemeint ist damit, sich selbst trotz der vielen erlebten Unterdrückungen, Abwertungen, Misshandlungen und Vernachlässigungen, als wichtigen Teil eines lebenden Organismus zu begreifen, einen Teil, auf den es ankommt.

Die Rückkehr

Die Versöhnung mit den Eltern ist der letzte abschnitt in der Therapie. Erlösung hat immer etwas mit Verzeihen zu tun.

Wirkliches Sich-selbst-Vergeben ist nur möglich, wenn die Schuld der anderen relativ wird. So kann ein Patient nun auch den Vater als ein Opfer von dessen eigenen Schwierigkeiten sehen. Seine innere Not, seine Minderwertigkeitsgefühle, seine Unfähigkeit und sein falscher Stolz, brachten ihn dazu, sein Kind abzulehnen, zu demütigen und zu misshandeln.

In der Realität ist aber eine wirkliche Versöhnung mit den Eltern oft nicht möglich, weil Verbitterung, Starrsinn, Launigkeit und chronische Unzufriedenheit vorliegt.

Im Alter verändern sich Menschen in zwei Richtungen. Entweder hat das Älterwerden zu einem Reifungsprozess geführt, in dem der Mensch gelernt hat, bescheiden zu werden. Materielle werte verlieren an Bedeutung, da spürbar wird, dass das Leben in absehbarer zeit vorbei sein wird und niemand etwas mitnehmen kann.

Die andere Variante der Veränderung wird allgemein als Altersstarrsinn bezeichnet, der bis ins Wahnhafte reichen kann.

Versöhnung und Verzeihung sind nur möglich, wenn Verstehen stattfindet. So ist wirkliches Verzeihen tiefer Kränkung und Verwundung ein Prozess, der lange Zeit dauern kann.