Skip to main content

Wendepunkte im Lebenslauf

von Jürg Willi

Entscheidender als Erfolg ist das Gelingen wichtiger menschlicher Beziehungen. Da hat jeder Mensch seine Chancen.

Wie sich störende Charaktereigenschaften unter geeigneten Lebensumständen zum Guten wenden können.

Charakterliche Dispositionen und frühe traumatisierende Lebenserfahrungen sind nicht Schicksal, sondern in ihrer Manifestation im Erwachsenenalter entscheidend von den Lebensumständen abhängig.

Untersuchungen an in ungünstigen Bedingungen aufgewachsenen Kindern belegen, dass ein erheblicher Teil von ihnen unauffällig aufwuchsen. Dabei war für sie wichtig, dass sie Bezugspersonen fanden und ansprachen die die fehlende Elternliebe kompensierten und selbst über die Fähigkeit verfügten, Gelegenheiten wahrzunehmen, um sich das Fehlende zu nehmen.

 

Das Problem der Disposition zu psychischen Schwierigkeiten wird am Beispiel der depressiven Disposition abgehandelt. Das Auftreten und Aufrechterhalten so genannter neurotischer Disposition hängt wesentlich von den Beziehungen ab, besonders von der Beziehung zum Lebenspartner. Gesund sind paradoxerweise oft nicht die Partnerbeziehungen, die alle Sehnsüchte erfüllen, sondern jene, die der Erfüllung einen Widerstand entgegensetzen.

Die heutige Bindungstheorie geht davon aus, dass sich die im Säuglingsalter erworbenen Bindungsstörungen lebenslang erhalten und unter anderem im Erwachsenenalter einen negativen Einfluss auf die Gestaltung von Liebes- und Partnerbeziehungen haben. Das Verhaltensrepertoir wird teilweise bereits im pränatalen Gehirn durch die Interaktion von genetischem Programm und mütterlicher Umgebung angelegt. Während der fötalen Entwicklung wird ein Überschuss von Nervenzellen gebildet, die sich dann erst durch die Nutzung von Sinneseindrücken zu neuronalen Netzwerken organisieren.

Wenn die Mutter dauernd gestresst ist, wird im fötalen Gehirn ein übermässig ausgeprägtes neuronales Netzwerk ausgebildet, welches das Kind nachhaltig auf Stress besonders ansprechbar macht. Diese Kinder entwickeln sich daher überdurchschnittlich oft zu Schreikinder. Frühkindliche Mangelerscheinungen haben eine langfristige Auswirkung auf das Gehirn. Der Mangel an Zuneigung und der dadurch bedingte Mangel an Oxytocin (Hormon, Neuropeptid) im Gehirn führt zu einem schwachen neuronalen Netzwerk für Bindungen. Das Gehirn kann dadurch kein Netzwerk für innige Beziehungen aufbauen und dieser Mangel wird auch nicht mehr völlig ausgeglichen, wenn das Kind in einer Familie mit liebevollen sozialen Kontakten lebt.

Wie die Manifestation einer depressiven Disposition durch Partnerbeziehungen verstärkt oder aufgefangen werden kann.

Die Psychoanalyse hat die differenzierteste Theorie über Depressionen ausgearbeitet. Ihre Hypothese lautet, dass der Depression eine enttäuschte Mutterliebe zugrunde liegt, welche Anlass zu Aggressionen gibt, deren Ausdruck aber gehemmt wird, aus Angst die Mutterperson dadurch zu verlieren. Das Dilemma zwischen Wut und Verlustangst bewirkt, dass die Betroffenen sich unterwürfig und überangepasst verhalten. Der böse Anteil der Mutterperson wird in sich aufgenommen und zu einem Teil der eigenen Identität gemacht. Die Vorwürfe gegen die Mutter werden gegen die eigene Person gerichtet. Es bleibt ein verletzliches Selbstwertgefühl und eine besondere Liebesbedürftigkeit.

Die persönlichen Hintergründe einer depressiven Disposition liegen in einer unstillbaren Sehnsucht nach absoluter, bedingungsloser Liebe, in einem sich bis zur oraler Gier steigernden Bedürfnis nach Zuwendung, Verwöhnung und Aufgehobensein nach Zärtlichkeit, dauernden Liebesbeweisen und Selbstbestätigung. Gleichzeitig besteht eine Bereitschaft, auf Frustrationen mit zerstörerischer Wut zu reagieren, einer Wut, die anknüpft an frühere erfahrene Frustrationen und persönliche Verletzungen. Partnerbeziehungen, welche die depressive Manifestation verstärken sind die orale- und die narzisstische Kollusion.

Orale Kollusion

  • Die depressiv disponierte Person wählt Partner zum Verwöhnen und Beschenken.

  • Erwartet vom Partner dadurch lediglich, dass er sie braucht und beschenken lässt.

  • Für sich selbst werden alle Ansprüche auf Verwöhnt- und Umsorgtwerden abgelehnt.

  • Der depressiv disponierte kann sagen, ich kann so viel Liebe schenken weil du so bedürftig bist. Der Partner kann sagen, ich kann mich so verwöhnen lassen, weil du mir so viel Liebe schenken willst.

  • Doch im längeren Zusammenleben wird die Kollusion konflikthaft, der Interaktionszirkel lautet nun vom Depressiven:

    • Ich bin so vorwurfsvoll, weil du so undankbar bist.
    • Vom Partner: Ich bin so undankbar weil du mit deinem Spenden auf dauernde Dankesbezeugung verpflichtest.

Narzisstische Kollusion

  • Die depressiv disponierte Person wählt auf Grund seines schlechten Selbstwertgefühls ein Partner, der in der eigenen Grandiosität bestätigt werden möchte und dazu einen Partner braucht, der bereit ist, ihn zu idealisieren, sich ganz für ihn aufzugeben und sich mit ihm zu identifizieren.

  • Der Partner kann sagen, ich kann so grandios sein, weil du ganz für mich lebst.

  • Der depressiv disponierte kann sagen, ich kann ganz für dich leben weil du so grossartig bist.

  • Im längeren Zusammenleben schlägt die Kollusion in eine konflikthafte Interaktion um.

  • Der depressive sagt nun, ich fühle mich von dir entwertet und nicht wahrgenommen, weil du immer nur an dich denkst.

  • Der Partner sagt, ich kann dich nicht respektieren, weil du für mich ein Niemand bist.

Partnerbeziehungen, in denen die depressive Manifestation aufgefangen werden kann.

Wie sollte nun eine Beziehung angelegt sein, um auf Menschen mit einer depressiven Disposition eine heilsame Wirkung zu haben und ihre destruktiven Neigungen zu kompensieren und zu puffern?

Es bewährt sich generell die Feststellung, dass es in Beziehungen nichts gratis gibt. Die scheinbare bedingungslose Hingabe und Einsatzbereitschaft hat ihren Preis. Von Vorteil ist, wenn diese Angebote des Depressionsgefährdeten nicht die Grundlage der Beziehung sind. Ein weiterer Aspekt betrifft den Hang der Depressionsgefährdeten dazu, die Beziehung zu idealisieren. Die Idealisierung kann zur Einengung, Verpflichtung, ja, zu einem Zwang werden, weil man spürt, dass die geringste Reduktion von Anerkennung und Lob in Wut und Hass umschlagen kann. Das zentralste Beziehungsproblem sind die Schuldgefühle, welche Depressionsgefährdete in Bezugspersonen erzeugen und die diese ohnmächtig und hilflos machen. Die Kunst einer konstruktiven Beziehung mit Depressionsgefährdeten liegt darin, ein mittleres Mass an Ansprechbarkeit auf ihre Liebesbedürfnisse zuzulassen unter Wahrung klarer Grenzen.

Lebenslauf und Persönlichkeitsentwicklung – zwei unterschiedliche Perspektiven mit weitreichenden Konsequenzen.

Die aktuelle Lebenssituation wird als Bühne gesehen, auf welcher die Person die Hauptrolle spielt. Aber sie kann ihre Geschichte nicht spielen ohne Mitspieler, die ihr ihre Rolle zugestehen. Es hängt von den Lebensumständen ab, welches Spiel sie mit ihren Mitspielern verwirklichen kann. Menschen sind bestrebt, aus ihrem Lebenslauf eine sinnvolle, in sich zusammenhängende Geschichte zu machen. In der schnelllebigen Zeit der Globalisierung wird es aber immer schwieriger, eine kontinuierliche Berufskarriere und dauerhafte Partner- und Familienbeziehung aufzubauen in welchen man seine Identität zu finden vermag. Lebenswenden und Wandel im Lebenslauf können nur stattfinden, wenn das Leben sich in innerer und äusserer Konsistenz entwickelt. Wendepunkte und Wandel im Lebenslauf beruhen auf Veränderung der Lebensumstände, die der Gestaltung der Lebensgeschichte wie der Entwicklung der Persönlichkeit eine neue Richtung geben.

Der Philosoph und Schriftsteller Pascal Mercier beschreibt in seinem Roman *Nachtzug nach Lissabon* das Leben als eine Reise mit den Worten:

„Ich wohne in mir wie in einem fahrenden Zug. Ich bin nicht freiwillig eingestiegen, hatte nicht die Wahl und kenne den Zielort nicht. Eines Tages in der fernen Vergangenheit wachte ich in meinem Abteil auf und spürte das Rollen. Es war aufregend, ich lauschte dem Klopfen der Räder, hielt den Kopf in den Fahrtwind und genoss die Geschwindigkeit, mit der die Dinge an mir vorbeizogen. Ich wünschte der Zug würde seine Fahrt nie unterbrechen… Es wurde mir bewusst, ich kann nicht aussteigen, das Geleise und die Richtung nicht ändern, das Tempo nicht bestimmen, kann die Lokomotive nicht sehen, kann nicht erkennen wer sie fährt. Ich weiss nicht ob er die Signale richtig liest und es bemerkt wenn eine Weiche falsch gestellt ist. Ich kann das Abteil nicht wechseln... Die Reise ist lang. Es sind seltene kostbare Tage. Es gibt andere, wo ich froh bin zu wissen dass es einen letzten Tunnel geben wird in dem der Zug für immer zum Stillstand kommt… „

Die Frage drängt sich auf, was ist aus meiner Lebensreise geworden? Folgt sie noch dem Ursprünglichen Plan, oder läuft sie in eine Richtung die ich so nie gewollt hätte? Oder gehört zum Reisen nicht eher, dass wir nie ganz ankommen, dass wir immer unterwegs sind, immer unvollendet?

Braucht es nicht die Unerfülltheit unserer Träume, damit wir auf der Suche bleiben? Wir spüren, wir waren nicht die eigenen Regisseure unsres Lebenslaufes, vielmehr die Mitspieler auf der Bühne unserer eigenen Geschichte.

Persönlichkeitsentwicklung und Lebenslauf

Werden diese Begriffe zu Schwerpunkten der psychotherapeutischen Ausrichtung gemacht, ergeben sich unterschiedliche Menschenbilder.

  • Die Persönlichkeitsentwicklung betrifft die charakterliche Entwicklung und Entfaltung. Das Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Verhalten und Handeln.
  • Der Lebenslauf betrifft die Lebensgeschichte, fassbar an der Aufeinanderfolge von Lebensereignissen und Lebenssituationen. Die Verwirklichung der Person in ihrem historischen und sozialen Kontext, welche soziale Rollen werden geschaffen, welche zugeteilt. Der Lebenslauf ist eine Geschichte an der die Person teilhat und die sie massgeblich beeinflusst.

Persönlichkeitsentwicklung und Lebenslauf sind zwei sich ergänzende Perspektiven, die sich teilweise überschneiden, ohne deckungsgleich zu werden.

Die Unterscheidung dieser zwei Aspekte sind für das Menschenbild der Psychotherapie und für ihre Zielsetzung von zentraler Bedeutung. Ziel ist, aus dem Leben eine gute Geschichte zu machen. Die Werte der Persönlichkeitsentwicklung wie Autonomie und Selbstfindung sind wichtig, aber ihre Bewährungsprobe liegt in der Gestaltung des Lebenslaufes in der konkreten und tätigen Verwirklichung.

Der ökologische Ansatz: Die Person entwickelt sich in der Wechselwirkung mit ihrer persönlichen Umwelt (Nische).

Die Entwicklung der Person wird im tätigen Gestalten ihrer persönlichen Nische gesehen, also in der vor ihr gestalteten Umwelt, bestehend aus ihren Bezugspersonen, ihrer Behausung, dem Besitz, aber auch in den Werken ihrer Arbeit. Durch die Elemente ihrer Nische erhält sie laufend Rückmeldungen, die ihre Selbstwahrnehmung festigen, ihre emotionalen und kognitiven Fähigkeiten stimulieren und die Handlungskompetenz entwickeln.

Das beantwortete Wirken ist anstrengend, weil für ein zufriedenstellendes Wirken die Bereitschaft der Nische genau berücksichtigt werden muss. Unter psychischen Störungen aller Art wird die Fähigkeit dazu beeinträchtigt, so dass das Wirken danebengerät und die Person durch die Reduktion positiver Rückmeldungen wichtige persönliche Unterstützungen verliert und dazu neigt, sich gekränkt auf sich zurückzuziehen. Doch das Leiden am Nie-ganz-passen von Person und Nische kann auch positiv gesehen werden als Herausforderung ihrer persönlichen Entwicklung durch Anerkennung einer klärungsbedürftigen Verschiedenheit.

Für eine optimale Verwirklichung seines Potentials sucht sich der Mensch eine soziale und ökonomische Umwelt, die seinen Gestaltungsmöglichkeiten entgegenkommt. Der Mensch arbeitet dauerhaft an der zielgerichteten Verwirklichung seines Potentials in seinen Projekten (berufliche Arbeit, Aufbau und Pflege von Freundschaften, persönliche Verbesserung der sozialen Stellung, Engagement für weltanschauliche Anliegen, kreative Verwirklichung des persönlichen Potentials) um der damit der persönlichen Individualität Ausdruck zu verleihen.

Die Person weist ein Profil ihres Potentials, d. h. ihrer Befähigungen und Bereitschaften zum Wirken auf. Die Umwelt ihrerseits weist ein Profil ihrer Valenzen auf, d.h. der Angebote, die sie der Person für ihr Wirken anbietet. Die beiden Profile müssen ausreichend korrespondieren, um Wirksamkeit zu ermöglichen. Es wird aber kein Schlüssel-Schloss-Phänomen vorliegen. Die Person wird nie eine Umwelt vorfinden, die vollkommen zu ihrem Potenzialprofil passt. Kennzeichnend für eine psychisch gesunde Person ist ihre Flexibilität im Aufspüren verschiedener Lösungswege und alternativer Passungen.

  • Assimilation = Die Wahrnehmung eines Objekts kann in bereits vorliegende Wahrnehmungsschemata der Person eingeordnet werden.
  • Akkommodation = Die Wahrnehmungsschemata einer Person müssen an das wahrgenommene Objekt angepasst werden.

Es ist wichtig, dass eine Person immer ausreichend nicht oder noch nicht erfüllte Wünsche hat, damit ihr Leben zukunftsorientiert bleibt und sie in einer vorwärtsdrängenden Spannung bleibt.

Die Differenzierung der Umwelt:

  • Die persönliche Nische, die von der Person gestaltete Umwelt
  • Die Lebensumstände und Lebensverhältnisse, von denen die Person persönlich betroffen ist.
  • Die weitere Umwelt als Rahmenbedingung. Die Welt, in der die Person lebt, soweit sie nicht direkt mit ihr interagiert, obwohl sie persönlich von ihr betroffen ist.

Die Person erkennt und erfährt sich in ihrer Wirksamkeit auf die Objekte der persönlichen Nische, deshalb ist die persönliche Nische so wichtig!

Die Herausforderung der persönlichen Entwicklung durch das Nie-ganz-Passen der Nische

Der Mensch entwickelt sich gerade nicht durch das harmonische Passen von persönlichem Entwicklungspotenzial und den Angeboten der Umwelt. Erst das Nicht-ganz-Passen, z.B. in einer Liebesbeziehung, fordert ihn heraus, sich dem Liebespartner zu erklären und damit sich über sich selbst klarer zu werden, sich zu bemühen, den Partner besser zu verstehen, so dass Partner und Person sich miteinander auf einen Suchprozess einlassen, bei dem immer ein Rest von Nichtverstandensein und Geheimnis bleiben. Die Sehnsucht nach Harmonie, unbehinderter Verständigung und Korrespondenz mit der Umwelt wird zwar bleiben, ihre Unerfüllbarkeit wird Leiden verursachen, doch wir können erkennen, dass dieses Leiden unsere persönliche Entwicklung fördert und herausfordert.

Die Person entwickelt sich somit nicht nur aus sich selbst heraus unter der Verarbeitung ihrer Lebenserfahrungen, sondern generell mehr da, wo ihr in der tätigen Interaktion mit der Umwelt persönliche Entwicklung ermöglicht und abgefordert werden. Es ist die Nische, welche die Wirkungen zurückspiegelt und bestätigt, es ist die Nische die von der Person ein Fortschreiten oder eine Korrektur in ihrer tätigen Entwicklung erwartet.

Wir leben immer nur einen kleinen Teil unserer Möglichkeiten, nämlich jene, die durch die Interaktion mit unserer spezifischen Umwelt zu Erscheinung gebracht werden.

Die Liebe zwischen Ich und Du ist für Martin Buber das eigentliche Beziehungsmodell. Die Liebe geschieht. Sie haftet nicht dem Ich an, so dass sie nur das Du zum Inhalt oder zum Gegenstand hätte. Die Liebe ist vielmehr zwischen Ich und Du. Eine Beziehung ist Gegenseitigkeit. Mein Du wirkt an mir, wie ich an ihm wirke. Mein Gegenüber wirkt an mir, wie ich an ihm wirke, aber mein gegenüber wirkt auch auf das Du, das ich ihm anbiete, und ich selbst löse aus ihm das Du heraus, das er mir anbietet. Wir nehmen beide teil an einer gemeinsam geschaffenen Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, die sich zwischen uns im Dialog bildet. … der Zweck der Beziehung ist die Berührung des Du! Der Mensch wird am Du zum Ich.

Für Buber ist die Beziehung zum Menschen das eigentliche Gleichnis der Beziehung zu Gott. Gott begegnet der Person im Du einer anderen Person, und die Person begegnet Gott im Mitmenschen. Der Mensch wird durch das was mit ihm geschieht, durch sein Schicksal angeredet. Durch sein eigenes Tun und Lassen vermag er auf die Anrede zu antworten.

Was leitet und bahnt den Lebenslauf

Der Sichtweise, dass sich der Lebenslauf nach einem dem Menschen eingegebenen Plan entwickle, hängt die Entwicklungspsychologie an, soweit sie der Vorstellung folgt, dass der Mensch von Geburt bis ins Alter verschiedene bio-psycho-sozial begründete Lebensphasen durchschreitet, von denen ihm jede bestimmte Entwicklungsaufgaben stellt, derer Erfüllung die Grundlage zum Fortschreiten ins nächste Stadium bildet.

  • Erstes Lebensjahr > Erwerb des Urvertrauens (gegen Urmisstrauen)
  • 2. / 3. Lebensjahr > Bildung von Autonomie (gegen Neigung zu Scham und Zweifel)
  • 3. bis 6. Lebensjahr, Ödipale Phase > Differenzierung des Geschlechts (gegen Behinderung der Bildung von Initiative durch Schuldgefühle)
  • Schulalter > Leistungsaufgabe (gegen Minderwertigkeitsgefühle)
  • Pubertät / Adoleszenz >Identität (gegen Rollenkonfusion)
  • Frühes Erwachsenenalter > Intimität (gegen Isolierung) -Erwachsenenalter > zeugende Fähigkeit (gegen Stagnation)
  • Reife > Ich-Integrität, Sinnerfüllung (gegen Verzweiflung)

Die Entwicklungsaufgabe, die sich etwa bei der Partnerwahl stellt, besteht darin, einen Liebespartner zu wählen, der eine gesunde persönliche Entwicklung herausfordert und einem hilft, fehlgeleitete Entwicklungen der Herkunftsfamilie durch das Zusammenleben mit ihm zu korrigieren.

Das Lebenslauf-Karma - man erntet was man gesät hat

Es geht beim Karma um die Eigendynamik der Werke. Das Gesetz des Karma ist ein Gesetz von Ursache und Wirkung unseres Handelns. Man erntet, was man gesät hat. Jede willentliche Handlung führt zu einem bestimmten Ergebnis, das Folgen hat und der Samen für weitere Wirkungen ist. So fallen die Folgen von Denken und Handeln auf den Menschen zurück. Da jede Handlung Folgen hat, ist es sehr wichtig, genau darauf zu achten, was man tut. Der Impuls der Handlung setzt sich fort. Wenn unser Handeln von Gier, Hass oder Verblendung bestimmt ist. Pflanzen wir den Samen des Leidens, ist er hingegen von Grossmut. Liebe und Weisheit bestimmt, so schaffen wir damit die karmischen Voraussetzungen für inneren Reichtum und Glück. Weil uns nicht bewusst ist, dass wir alles selbst herbeigeführt haben, gewinnen wir den Eindruck, dass die Ursachen von aussen wirken. Aber die Ursachen liegen in uns selbst. Was jemand vermeidet, überspielt, holt ihn im späteren Leben wieder ein.

Wie kann man sein Karma beeinflussen?

Mit der Funktion von Dharma. Dharma ist das Gesetz von Moral, Tugend und des rechten Lebens. Auch wenn wir durch unsere Vergangenheit durch das Karma bedingt sind, tragen wir die Verantwortung für die Umstände unserer Gegenwart. Dharma ist das Evolutive, verantwortlich für alle dramatischen Wendepunkte in der Geschichte des Einzelnen und der Welt. Der Schlüssel zum spirituellen Leben besteht in der Umwandlung von Karma in Dharma, in der Fähigkeit, aus der Vergangenheit ein Vorspiel für die Zukunft zu machen. Das Dharma verlangt von einem Menschen, das, was aufgrund seines besonderen Karmas erforderlich ist, jetzt auszuführen. Wir sind heute und jetzt das Produkt unseres gesamten vergangenen Tuns. Handlungen tendieren dazu, unbewusste Gewohnheiten zu werden. So entstehen unbewusste Neigungen zu fortgesetztem Handeln und das Karma wird zum unbewussten Prinzip, das die Welt in festen Bahnen steuert. Doch das Karma ist nicht zwingend. Es besagt lediglich, dass jeder Akt die unausweichliche Folge der vorangegangenen Bedingungen ist. Wenn der Geist die Möglichkeit zur Freiheit nutzt, werden früheres Verhalten und die aktuelle Umwelt das jetzige Handeln nicht zwangsläufig bestimmen. Der Mensch kann über dem Karma stehen. Das Gesetz des Karmas bestimmt die niedrigere Natur des Menschen. Es kann der geistigen Freiheit unterstellt werden und es gibt die Möglichkeit, das Leiden und das Karma zu überwinden durch Nichtanhaften am Dasein, durch Abkehr vom Egoismus als Ursache allen Leidens.

Transzendente Erfahrungen des Geführtwerdens

Manche Menschen erfahren, wie sie in ihrem Leben geleitet und zu einem Sinn hingeführt werden.

Gemäss christl. Glaubenslehre ist das Gewissen der verborgenste Kern des Menschen, in dem er allein ist mit Gott, dessen Stimme in seinem Innersten widerhallt. Der Mensch muss dem sicheren Urteil seines Gewissens folgen. Der Mensch hat das Recht, sich in Freiheit seinem Gewissen entsprechend zu entscheiden und zu handeln. Die Stimme des Gewissens erkennt er, in dem er in sich geht. „Halte Einkehr in dein Gewissen, dieses befrage! Und in allem, was ihr tut, schaut, dass Gott euer Zeuge ist“ (Augustinus). Die Gewissensstimme kann dabei durchaus im Widerspruch mit den kirchlichen Moralvorschriften stehen. Das Gewissen erweist sich als untrüglich und unbestechlich. Menschen geraten in Lebenssituationen, in denen sie so oder so schuldig werden. Vielleicht geht es vor allem darum, zu dieser Schuld zu stehen und die Stimme des Gewissens überhaupt zuzulassen.

Wie kommt es zu einer Wende im Lebenslauf?

Viele Menschen leben über Jahrzehnte unter Lebensbedingungen, die im Grunde schon längst eine Veränderung erfordern, aber trotz der bewussten Erkenntnis bleiben sie lieber weiterhin in den vertrauten Verhältnissen, auch wenn diese nicht befriedigend sind. Oft sind diese Lebensumstände nicht wirklich schlecht. Sie bieten Sicherheit und einen gewohnten Rahmen. So verharrt man eventuell lieber in vertrautem Unglück, als das Risiko einer Veränderung mit ungewissen Folgen auf sich zu nehmen. Eine Lebenswende kann immer nur gelingen, wenn sich dabei sowohl die Person als auch ihre persönliche Nische ändern. Es braucht meist ein Entgegenkommen der Umwelt. Widerstände entstehen aus Angst vor dem Risiko, vor den unberechenbaren Folgen einer Veränderung, aber häufig auch aus Schuldgefühlen und Loyalitätsgefühlen gegenüber Partnern, Angehörigen oder Berufskollegen.

Es sind nicht in erster Linie Einsichten und Erkenntnisse, welche zu Veränderungen im Lebenslauf führen, sondern Veränderrungen der äusseren Umstände. Dadurch können bereitgestellte, bisher nicht genutzte Lebensmöglichkeiten ins Leben hineingeholt werden. Sie fordern Entwicklungen heraus, die bisher in Latenz schlummerten oder vor denen man bisher verschont geblieben war. Es wird generell zu wenig beachtet, dass das gleiche lebensverändernde Ereignis von Person zu Person und von Situation zu Situation eine unterschiedliche Bedeutung haben kann. Scheidung kann als Katastrophe erlebt werden, aber genauso als Befreiung und Erleichterung. Es sind nicht die Lebensereignisse als solche für die Entwicklung entscheidend, sondern die Bedeutung, die ihnen zugemessen wird und die Art der Auseinandersetzung mit ihnen.

Wenn sich eine ersehnte Wende nicht ergibt, so kann das liegen an:

  • den äusseren Umständen, die eine Entwicklung nicht ermöglicht
  • der persönlichen Einstellung, die eine sich anbietende Entwicklung nicht wahrzunehmen vermag

Dennoch kann im langen Warten auch eine Chance liegen. Oft reift im Warten nicht nur die Fähigkeit, eine anstehende Aufgabe kompetent auszuführen, sondern auch eine gelassenere und flexiblere Einstellung zu vielem, was man ursprünglich zu erzwingen oder trotzig abzuweisen suchte.

Der Ereignischarakter des Lebens

Der Lebenslauf ist eine einmalige, im subjektiven Erfahrungsgehalt unvergleichliche und unvorhersagbare Geschichte, die sich relativ kontinuierlich entwickeln kann, aber Bruchstellen und Neuausrichtungen aufweist. Diese Nahtstellen korrelieren zeitlich und kausal mit gewissen Lebensereignissen. Sie machen den Ereignischarakter des Lebens aus. Sie sind das was die Patienten von ihrer Lebensgeschichte spontan erzählen und als das Massgebliche betrachten. So wird etwa von in der Paartherapie von den Klienten die Geschichte ihrer Paarbeziehung erzählt, mit besonderer Beachtung der Ereignisse, die als Wendepunkte wahrgenommen werden, bis zur heutigen Konfliktsituation. Die eingetretenen veränderungswirksamen Ereignisse traten oft unerwartet und überraschend ein und beiden Partner wird klar „so wie bisher kann es nicht mehr weitergehen“.

Das psychologische und psychotherapeutische Denken hat sich bisher viel mit der Persönlichkeit, aber wenig mit dem ereignishaften Verlauf des Lebens befasst. Diagnosen, Persönlichkeitsstrukturen, typische Verhaltensweisen (traits), aber auch der Erwerb von Konsequenzen wie Beziehungsfähigkeit, Arbeitsfähigkeit, Genussfähigkeit etc. bilden zentrale Themen psychiatrischer und verhaltensorientierter Fachdiskussionen. Dabei droht das Leben in seiner Lebendigkeit verpasst zu werden.

Lebendiges Leben ist, das Unerwartete zuzulassen, sich dem Moment zur Verfügung zu halten, bereit ein für das, was mit einem geschehen will.

Der Mensch wird durch das, was mit ihm geschieht. Er wird durch sein Schicksal angeredet. Durch sein Tun und Lassen vermag er auf die Anrede zu antworten. Der Mensch steht in der Freiheit, auf die Anrede, die an ihn ergeht, die Lebensantwort zu geben oder diese zu verwerfen.

Sein Schicksal zu leben heisst nicht blosses Loslassen und Freiwerden von Leiden, sondern sich Hineingeben in das was jetzt ansteht. Das Leben ist nicht da am intensivsten, wo alles in geordneten Bahnen abläuft. Immer wieder treten Situationen und Ereignisse auf, die nicht erwünscht sind und auf die unterschiedlich geantwortet werden kann. Lebendiges Leben liegt darin, das Unerwartete zuzulassen, ansprechbar zu sein auf das, was jetzt gerade mit einem geschehen will. Sich vom unverfügbaren Schicksal auf neue Lebensmöglichkeiten verweisen zu lassen, entspricht allerdings nicht dem heutigen Bestreben, die Kontrolle über alle Bereiche des Lebens in den Händen zu halten.

Wenden durch menschliche Begegnungen

Gemäss Martin Buber ist die Begegnung im einem Du das eigentliche Leben, sie ist das Leben als reines Ereignis. Wirkliches Leben ist nur präsent, wo eine Ich-Du-Beziehung sich verwirklicht. Im Zentrum steht dann nicht das Einzelwesen sondern das Existieren in der Beziehung zu einem andern. Wirkliches Leben ereignet sich, wo Gegenseitlichkeit vorahnden ist. Es ist die Gegenseitigkeit, welche eine Begegnung so lebendig, aber auch so unberechenbar macht.

Im echten Dialog stehen die Partner quasi nackt einander gegenüber, sie haben nichts anderes ins Gespräch einzubringen als sich selbst, sie sind dem Dialog schutzlos ausgesetzt. Das sich einander Öffnen setzt eine starke Verankerung in sich selbst voraus, ansonsten man sich vom anderen vereinnahmt, missbraucht oder fremdbestimmt fühlen kann.

Nach Buber existiert der Mensch im Dialog, er lebt im Gespräch, der Dialog ist ein Gewinn von Leben. Eine Begegnung ist ein schöpferisches Ereignis. Sie verwirklicht sich in der Auseinandersetzung und kann so zum Wandel im Leben führen.

Unerwarteter Wandel in langjährigen stagnierenden Partnerbeziehungen

Dauerhafte Ehen haben oft eine Substanz, die äusserlich nicht sichtbar ist. Im Erwachsenenalter fördert nichts die persönliche Entwicklung so heraus wie eine Liebesbeziehung, aber auch nichts lähmt die persönliche Entwicklung so wie eine destruktiv gewordenen Beziehung. Langweilig und öde wird eine Beziehung erst, wenn die Partner es nicht verstehen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und unangenehme Themen miteinander zu diskutieren. Vom Ablauf der Beziehungsgeschichte her gesehen ist der kritische Wendepunkt zu dieser langweiligen Beziehung die Enttäuschungsphase, die häufig der initialen Verliebtheitsphase folgt. Das Leiden am nie vollständigen Passen von zwei Personen, hat den positiven Effekt, dass sie sich über sich selbst auseinandersetzen müssen, dass sie versuchen werden, sich einander zu erklären und sich über sich selbst klarer zu werden.

Es ist verständlich dass viele Paare versuchen Enttäuschungen zu umgehen und bestrebt sind, die vorbestehende Idealisierung weiter zu pflegen und ein Leben in ungetrübter Harmonie aufrechtzuerhalten. Sie muten sich die Fähigkeit zu einer Auseinadersetzung oder gar einem Streit nicht zu, sondern meinen, die Beziehung werde dadurch in eine tiefe Krise geraten, an der sie zerbrechen werde. Diese Pseudoharmonie wird erhalten durch Überanpassung und Verleugnung von allem was trennen könnte. Dadurch verliert die Beziehung aber ihre Vitalität. Wenn zwei Partner darüber klagen sie hätten einander nichts mehr zu sagen, ist das nicht deswegen so, weil sie wirklich nichts mehr zu sagen hätten, sondern weil sie immer mehr Themenbereiche aus ihrem Gespräch ausklammern.

Manche Paare glauben, die Langweile sei das Schicksal einer langwährenden Beziehung, etwas anderes zu erwarten sei naiv. Sie führen das Zusammenleben fort, fühlen sich nicht eigentlich unglücklich, sondern lediglich unerfüllt und unbefriedigt. Für das Fortbestehen einer langen Beziehung wird die Abnahme von Zärtlichkeit. Erotik und Sexualität aufgewogen durch die Identifikation mit der Liebesbeziehung und die miteinander geschaffene innere und äussere Welt.

Es kann nun aber unerwartet ein Ereignis eintreffen, das das erstarrte Gebäude zum Einsturz bringt und neue Entwicklungen in Gang setzt, manchmal mit überraschender Wucht und Geschwindigkeit. Das häufigste Ereignis ist das Eingehen einer ausserehelichen Liebesbeziehung. Der Untreue fühlt sich dabei belebt und beglückt, weil all das, was er lange vermissen musste, jetzt in Erfüllung zu gehen scheint. Im günstigsten Falle wird die Aussenbeziehung zur Herausforderung der Ehe und damit deren Wendepunkt.

Es ist wie ein Lebensgesetz: Was wir im Leben vermeiden, hintanstellen und verleugnen, holt uns früher oder später im Leben wieder ein.

Die Beziehungskrise ist meist der Ausdruck einer vorangegangenen Vermeidung längst anstehender Entwicklungen in der Beziehung.

Mensch wird laufend von seinen Mitmenschen auf die für seine persönliche Entwicklung wichtige Veränderungen hingewiesen. Der Umgang mit der Kritik ist eine wichtige Voraussetzung für die konstruktive Bewältigung einer anstehenden Wende in der Paarbeziehung. Sich mit Kritik konfrontiert zu fühlen, ist immer schmerzlich, Es ist einem lieber gelobt und idealisiert zu werden. Persönlich weiterbringen werden einen jedoch vor allem die oft notwendigen Hinweise auf das, was bei einem nicht stimmt, auf Entwicklungen denen man ausweicht, auf Schonhaltungen und Ausweichtendenzen, mit denen man überall durchzuschlüpfen versteht.

Offen sein für das, worauf die Lebensumstände uns verweisen

Menschen werden durch ihre Lebensumstände auf das hingewiesen, was das Leben ihnen abfordert und ermöglicht. Bereit zu sein für das Angesprochenwerden ist Teil der christlichen Lebensführung. Diese Bereitschaft muss aber nicht zwangsläufig religiös verstanden werden, sondern ergibt sich auch aus der rationalen Beobachtung des Lebenslaufes als eines personenübergreifenden Prozesses.

Wie kann man sich die Entstehung psychogener Symptome vorstellen? Psychogen sind Symptome, bei denen eine psychische Ursache oder Teilursache angenommen wird, also depressive Reaktionen, Angstzustände, Suchtkrankheiten, Essstörungen, sexuelle Funktionsstörungen und viele andere mehr.

Die vom Symptom betroffenen können meist zunächst keinen Zusammenhang mit äusseren oder inneren Ursachen erkennen. Das Symptom ist ihnen selbst unverständlich und erscheint ihnen oft widersinnig. Leichter zu erkennen sind die Folgen welche die Symptombildung für sie und ihre Familie hat.

Um die Botschaft besser zu verstehen, bewährt es sich, en Patienten zu fragen, was sich an seiner Lebensführung verändern würde, wenn er nun plötzlich wieder ganz gesund und von den Symptomen befreit wäre. Nicht selten wird mit dieser Frage deutlich, welche belastenden Situationen der Patient dank seines Symptoms zu vermeiden vermag, ohne dass er selbst für diese Vermeidung verantwortlich gemacht werden könnte. Das Symptom bietet dem Patienten also einen Schutzraum an, ein Moratorium, d.h. eine Zeit, in welcher er von Anforderungen seiner Beziehungsumwelt verschont wird, denen er sich bei Fehlen des Symptoms zu stellen hätte, er ist in der Ambivalenz gefangen gesund werden zu wollen, aber nicht gesund sein zu können. Die Krankheit erweist sich ihnen als beste aller schlechten Lösungen.

Veränderungen der Lebensumstände im zeitlichen Vorfeld psychogener Störungen

Es stellt sich nun die Frage, weshalb ein Symptom gerade jetzt im Lebenslauf auftritt und nicht früher oder später. Auffallend ist, dass der Zeitpunkt, zu welchem etwa eine Panikattacke erstmals auftritt, kein zufälliger ist. Der Zeitpunkt des Ausbrechens des ersten Panikanfalls in Zusammenhang steht mit einer äusserlichen fassbaren Veränderung der Lebensumstände, besonders im Beziehungsbereich. Solche Veränderungen der persönlichen Nische werden auch von anderen Autoren beobachtet und beschrieben, speziell für das Paniksyndrom, aber auch als Verlusterlebnisse im zeitlichen Vorfeld von Depressionen (Tod eines nahen Angehörigen, Verlust eines Kindes, Stellenverlust, Verlust der gewohnten Umgebung durch Wohnortswechsel etc.).

Beim auslösenden Ereignis handelt es sich nicht um eine belanglose Nebensache, vielmehr handelt es sich oft um einen Wendepunkt im Lebenslauf der durch das auslösende Ereignis verwirklicht wird (durch das Aufbrechen der Nische oder durch einen bisher vermiedenen Entwicklungsschritt).

Der Weg vom Wahrnehmen von Symptomen zum Aufsuchen einer Psychotherapie

Die Wahrnehmung von Symptomen führt die Betroffenen nicht automatisch auf die Spur, die Ursache der Symptome könnte in seelischen oder zwischenmenschlichen Unstimmigkeiten liegen. Die Anerkennung seelischer Ursachen der Störungen bringt die Aufforderung zu einer Auseinandersetzung in einer Psychotherapie mit sich.

Anhaltende Symptome verweisen den Patienten darauf, dass er sich nicht adäquat zu seinen Möglichkeiten verhält und mit den Symptomen einen hohen Preis dafür zahlt. Empfehlenswert wäre nun, eine psychotherapeutische Methode zu wählen, die nicht nur auf Symptomreduktion ausgerichtet ist, sondern das Symptom als Hinweis und Ausdruck einer notwendigen Korrektur des Lebenslaufes versteht. Eine Studie zur Frage, wie Patienten ihre Krankheit subjektiv deuten und was sie von einer Psychotherapie erwarten zeigt:

  • Der Überlastungstypus. Die Störung wird als Nervenzusammenbruch gesehen. Der Betroffene fühlt sich als Opfer eines kritischen Lebensereignisses. Die Therapie hat zu entlasten durch Kuraufenthalt oder Hospitalisation.
  • Der Devianztypus. Die psychogene Störung oder die Symptombildung wird gemäss dem medizinischen Krankheitsmodell als unerklärliche körperliche Funktionsstörung interpretiert, die unabhängig von der eigenen Lebensgeschichte aufgetreten ist. Die Erwartung an die Therapie ist die Aneignung des Rezeptwissens des Therapeuten.
  • Der Defizittypus. Die psychische Störung wird in Zusammenhang gebracht mit lebensgeschichtlich begründeten Defiziten, etwa als Erziehungsfehler. Von der Therapie wird die Identifikation der eigenen Defizite und deren Ausgleich durch verbesserte Handlungskompetenz erwartet.
  • Der Entwicklungsstörungstypus. Die persönliche Entwicklungsgeschichte wird betrachtet als Wechselwirkung zwischen eigenen Fähigkeiten und äusseren Ereignissen und Gegebenheiten. Die Symptome stehen in Zusammenhang mit der gesamten Lebensführung. Therapieziel ist, das Leben gemäss eigenen Bedürfnissen zu gestalten, Einschränkungen der persönlichen Entwicklung abzubauen und Erkenntnis zu gewinnen.

Nun sind es nicht nur Symptombildungen welche eine Person darauf hinweisen, dass etwas in ihrer Lebensführung nicht stimmt und somit eine Änderung bedarf. Das Leben gibt ihr noch eine Vielzahl andere Hinweise, die kritischen Bemerkungen naher Bezugspersonen zum Beispiel.

Offenbar vermag man sich auf Dauer nicht um das Leben zu betrügen. Früher oder später tritt das Leben an uns heran und konfrontiert uns mit dem, was wir zu ausklammern versucht hatten. Von der Ansprache werden wir nicht verschont, sie drängt sich uns auf, und wenn wir nicht darauf eingehen, hat das Konsequenzen im Bereich von Gesundheit und Wohlbefinden oder in der Qualität unserer Beziehungen und unseres Lebens.

Der Mensch hat das Bedürfnis, dem Verlauf seines Lebens Sinn zu geben, eine Lebensgeschichte zu konstruieren, die – nach vielen Irrungen und Umwegen – schliesslich ihre Erfüllung gefunden hat.

Wende im Lebenslauf durch Psychotherapie

Oft geht es darum, anstehende, bisher vermiedene Entwicklungsschritte in den konkreten Beziehungen zu vollziehen. Dabei ist nicht nur die persönliche Situation des Patienten zu beachten, sondern in gleicher Weise die Motivationslage seiner Konfliktpartner, die entweder konkret in den therapeutischen Prozess miteinbezogen werden, oder zumindest virtuell im Gespräch anwesend sind und einen virtuellen Dialog mit dem Patienten führen. Die Therapie verstärkt somit lediglich eine Bewegung, die vom Patienten bereits eingeleitet worden ist.

Die Einzeltherapie formuliert folgenden ökologischen Fokus:

  • Beziehungskonstellation, in welcher das Problem auftrat
  • Anstehender Entwicklungsschritt in der aktuell schwierigen Beziehung
  • Erschwerende Faktoren
  • Begünstigende Faktoren
  • Erste Schritte in der angestrebten Entwicklung

Was ist der jetzt anstehende Entwicklungsschritt in der Gestaltung der aktuell schwierigen Beziehung? Was hat sich kurz vor Krise oder der Symptombildung in der Beziehung verändert? Der Fokus nimmt Bezug auf die Vorgeschichte und die Entwicklung der aktuellen Beziehungskrise.

Was waren die situationsbezogenen Motivationen und Erwartungen beim Eingehen der Beziehung? Welches Beziehungsleitbild, welche Idealvorstellung und Wünsche leiteten die Wahl? Welche persönliche Entwicklung ermöglichte die Beziehung in ihrem Beginn? Welche ängstlich vermiedenen Herausforderungen liessen sich mit ihr hintanstellen? Von welchem Ungemach hoffte man verschont zu werden? Welche Ängste hat man in diese Beziehung hineingetragen?

Die aktuelle Krise wird als Entwicklungskrise gesehen, die z.B. im Zusammenhang mit einer Enttäuschung, einer persönlichen Kränkung oder einer Überforderung aufgetreten ist. Welche Vermeidungen sollte der Patient jetzt überwinden, von welchen Ansprüchen und Idealen muss er sich verabschieden, welchen Ängsten muss er sich stellen um die Beziehung befriedigender gestalten zu können?

Weshalb hat der Patient eine anstehende Entwicklung in der Gestaltung seiner Beziehung bisher vermieden? Es können persönliche Hemmungen und Ängste sein, aber auch Rücksichtnahme auf Partner, denen man diese Veränderung nicht zumuten will, oder gemeinsame kollektive Ängste von Partnern, die eine Situation aufrechterhalten wollen, auch wenn sie nicht mehr entwicklungsfähig ist. Dazu gehört die Feststellung „so wie jetzt kann es nicht mehr weitergehen“.

Aber es liegen gegenwärtig vielleicht auch speziell günstige Bedingungen für einen Wendepunkt im Lebenslauf vor, so etwa die Veränderung der Lebensumstände, die dem Patienten eine Entwicklung abfordern oder diese freisetzen. Es kann aber auch sein, dass neue Beziehungen oder neue Lebensumstände ihn in seiner Entwicklung unterstützen. In einem Abschlussteil soll hypothetisch überlegt werden, worin die ersten Veränderungsschritte in der angestrebten Richtung liegen könnten.

Ziel ist, in kleinen Schritten zu denken. Kleine positive Veränderungen in Beziehungen stärken das Selbstvertrauen des Patienten und ermutigen ihn zu weiteren Schritten.

Wozu ist der Patient bereit?

Dass der Patient den Therapeuten aufsucht, heisst noch nicht dass er die Bereitschaft hat, sich mit den Schwierigkeiten in seiner Beziehung auseinanderzusetzen oder diese in einen Zusammenhang mit seinen Symptomen und seiner Krise zu stellen. Wie kam der Patient auf die Idee, sich zu einer Psychotherapie anzumelden. Welche Bedenken hatte er oder seine Angehörigen? Welches Problem möchte er in der Therapie bearbeiten? Oft erwartet der Patient, dass der Arzt oder Therapeut dank seiner beruflichen Kompetenz die Symptome zu beseitigen vermöge, damit alles wieder so werde wie es zuvor gewesen ist (Wiederherstellung des früheren Zustandes als restitutio ad integrum).

Es gibt Menschen, die unter fehlgelaufenen Beziehungen leiden und in der Lebensmitte oder zu irgendeiner Zeit Bilanz ihres Lebens ziehen und dabei zu der Erkenntnis kommen, dass sie eigentlich ihre Lebensziele äusserlich erreicht haben, ihr Leben dennoch unerfüllt und leer geblieben ist. Irgendwann in der Mitte des Lebens werden viele von einer Sinnkrise eingeholt und merken dann, dass sie das, was sie zuinnerst bewegt, in ihrem Leben nicht verwirklichen, dass sie mit niemandem darüber sprechen und zuinnerst unbefriedigt bleiben. Manche geraten beruflich zunehmend unter Stress und entwickeln psychogene Symptome oder werden von schweren Krankheiten betroffen, von Herzinfarkt, Hirnschlag, Depressionen, Burnout-Syndrom und anderem mehr. Sie gelangen an der Punkt, wo sie erkennen: so sollte es nicht weitergehen.

Viele leben in einem goldenen Käfig, doch auch wenn sich dessen Tor öffnet, fliegen sie nicht hinaus. Der goldene Käfig ist ihre Nische, die ihnen die Sicherheit, das gewohnte Sozialprestige und den Bekanntenkreis gibt. Die Schwierigkeit für sie ist sich mit ihrem Lebenslauf auseinanderzusetzen, mit den Lebenszielen und Leitvorstellungen mit denen sie ins Berufsleben und in die Beziehung eingetreten waren und mit ihrer Sehnsucht, geliebt zu werden, die hinter alle dem vordergründigen Erfolgsleben steht. Es ist ihnen ungewohnt, sich mit ihren schwächen und Fehlern zu konfrontieren. Sie spüren aber, dass etwas nicht stimmt und eine Lebenswende notwendig wäre.

Persönlicher Wandel in der therapeutischen Beziehung

Das Offenlegen der innersten Aspekte psychischen Lebens macht den Patienten verletzbar. Es kann das Bedürfnis aufkommen, sich vor weiterem Eindringen des Therapeuten zu schützen oder sich zumindest zu vergewissern, dass man die Kontrolle über sich in eigenen Händen behält und dem Therapeuten nicht ausgeliefert ist. Unter der Intimität des therapeutischen Dialogs kommt es natürlicherweise auch zu erotischen Gefühlen, sowohl beim Patienten wie beim Therapeuten. In mildem Ausmass fördern diese den therapeutischen Prozess. Werden die Gefühle jedoch sehr intensiv, so beginnt eine heikle Gratwanderung. Der Therapeut ist verantwortlich für die Einhaltung des Therapiesettings und der Rollen von Therapeut und Patient, die in einer professionellen Beziehung einander zugeordnet sind.

Die therapeutische Beziehung kann viele Gemeinsamkeiten mit einer Liebesbeziehung haben, sie hat aber auch wichtige Unterschiede, was nicht immer leicht auseinander zuhalten ist.

Man verliebt sich dann, wenn die Evidenz aufkommt: „Dies ist die Person, mit der zusammen ich all das, was ich in Zeiten langer sehnsucht bereitgestellt habe, ins Leben hineinholen kann, dies ist die Person, mit der ich meine innersten Möglichkeiten zur Entfaltung bringen kann, weil sie meine Bereitschaften erkennt und mich darin beantwortet“.

Komplementär dazu verliebt sich jemand, wenn die Evidenz entsteht: „Ich bin die Person, die es dem anderen ermöglicht, all das, was er in langer Sehnsucht bereitgestellt hat, ins Leben hineinzuholen, weil ich ihn zu nehmen weiss, weil ich den Schlüssel zu seinem Herzen habe und ihn in einer weise verstehe, wie er es bisher nie erfahren hat“. Es ist völlig natürlich, dass der therapeutische Dialog, soweit er gelingt, auf beiden Seiten Liebesgefühle füreinander entstehen lässt. Es entstehen auf beiden Seiten Gefühle von Freude, Dankbarkeit und Liebe. Diese Gefühle der Liebe sind geschlechtsunabhängig und brauchen nicht im engeren Sinne sexuellen Charakter zu haben. Eine milde therapeutische Liebe ist einer der wichtigsten Faktoren einer Psychotherapie. Sie kann die Zusammenarbeit auf beiden Seiten verstärken und kreativer machen. Der Therapeut sollte wissen, dass die Liebesgefühle eventuell ein wichtiger neuer Entwicklungsschritt für die Patientin sind.

Wie alle Vertreter von Helferberufen kann der Therapeut vor allem auf das Angebot zu einer Helferkollusion ansprechen. Der Patient möchte sich dabei ganz der Hilfe des Therapeuten anvertrauen und die Verantwortung für sein Leben ihm übergeben. Der Therapeut seinerseits kann zur Überkompensation eigener Selbstwertzweifel in besonderer Weise auf dieses Angebot anspringen, um sich als Helfer zu profilieren. Die Kollusion vermittelt den beiden Betroffenen ein Gefühl besonderer Nähe und sinnstiftender Exklusivität ihrer Beziehung. Es gehört zum Testverhalten der Patienten, dem Therapeuten Kollusionsangebote zu machen. Es ist Aufgabe des Therapeuten, diese zu erkennen und der Versuchung zu widerstehen, sich darauf einzulassen.